Um es vorweg zu nehmen: Kaum eine deutsche Stadt hat mich so schnell verzaubert wie Lübeck. Völlig zurecht trägt die Altstadt die Auszeichnung Unesco-Kulturerbe und ist aber trotz „Freiluftmuseum-Atmosphäre“ eine sehr lebendige (Einkaufs-)Stadt, die auch viel Kulturelles zu bieten hat.
DAS Wahrzeichen der Stadt ist zweifelsohne das Holstentor. Uns Älteren bekannt als Zierde unseres 50-DM-Scheins, kennen es die Jüngeren vielleicht von den 2-Euro-Münzen aus dem Jahr 2006. Ehemals Teil der Stadtmauer beherbergt das Tor heute ein Museum. Das spätgotische Backstein-Monument ist einfach schön anzuschauen und eine optimale Eintrittspforte in die Lübecker Altstadt. Ein Tipp für Fotografen: morgens steht die Sonne über der Lübecker Altstadt, das Holstentor „von vorne“ also im Gegenlicht.


Wir laufen durch das Holstentor hindurch und über die Trave, die die Altstadt umschließt. Sehr dekorativ befinden sich am Ufer der Obertrave direkt neben dem Holstentor die ehemaligen Salzspeicher, ebenfalls Backsteingebäude, teils aus dem Renaissance-, teils aus dem Barockzeitalter. Vielleicht erkennt sie der eine oder andere als Kulisse im Film „Nosferatu“.

Wo immer möglich werfen wir am Liebsten zuerst einen Blick von oben auf die Stadt, in Lübeck eignet sich hierfür die St.-Petri-Kirche. Der Fahrstuhl nach oben erweist sich zu Corona-Zeiten natürlich als Nadelöhr. Wir waren schon kurz vor der Öffnung vor Ort, was uns eine lange Wartezeit erspart hat. Oben hat man eine (überdachte) 360-Grad-Sicht auf die Altstadt, die Trave und die Neustadt bis zur Lübecker Bucht. Schön sieht man ein weiteres Wahrzeichen, die „Sieben Türme“ der fünf gotischen Hauptkirchen der Lübecker Altstadt, darunter die höchsten, die Doppeltürme von St. Marien.
St. Petri wird auch für Veranstaltungen und Ausstellungen genutzt. Kurz nach unserem Besuch wurde die Ausstellung „Parasocial“ des Hamburger Künstlers Christoph Faulhaber eröffnet, die sich zeitgemäß mit dem Thema „social distancing“ beschäftigt. Was wie ein riesiges Ikea-Bällebad aussieht, soll verdeutlichen, wie die Mitglieder einer Gesellschaft auseinander gedrängt werden.



Anschließend schlendern wir durch die hübschen Altstadtgassen in Richtung Rathaus. Es ist eines der bekanntesten Gebäude der Backsteingotik und eines der größten mittelalterlichen Rathäuser Deutschlands. Der älteste Teil des Rathauses entstammt dem 13. Jahrhundert, später erfolgten zahlreiche An- und Umbauten. Das Ergebnis ist ein interessanter Stilmix unterschiedlicher Bauepochen, das jedoch sehr harmonisch wirkt. Und man sieht dem Gebäude den Reichtum einer stolzen Hansestadt deutlich an! Normalerweise kann man das Rathaus auch innen besichtigen und an einer Führung teilnehmen, coronabedingt ist dies derzeit nicht möglich.



Eine weitere Besonderheit zeichnet die Hansestadt aus: Gleich drei Nobelpreisträger haben eine besondere Verbindung zu dieser Stadt. Nacheinander schauen wir das bürgerliche „Buddenbrookhaus“ in der Menggasse an, in dem Thomas Manns Familie lebte, das „Arbeits“-Haus von Günter Grass in der Glockengießerstraße und Haus des gebürtigen Lübeckers Willy Brandt in der Königstraße. Alle drei Häuser beherbergen heute Museen.



Nach so viel Städtebau und Kultur widmen wir uns dem von den Mädchen sehnsüchtig erwarteten Programmpunkt: der süßen Versuchung Marzipan! Ursprünglich aus dem Orient stammend, finden sich Hinweise auf die süße Masse in Lübecks Archiven bereits um 1530. Als Handelsstadt verfügte sie über ausreichend „Rohmaterial“: Mandeln und Zucker. Aufgrund der langen Tradition gilt Lübecker Marzipan heute als geschützte geografische Herkunftsbezeichnung.
Der Ulmer Konditor Johann Georg Niederegger gründete 1806 sein Unternehmen, sein Name steht heute für die wohl bekannteste Marzipan-Marke Deutschlands. Auf der Breiten Straße, gegenüber dem Rathaus, lädt Niederegger in seinem riesigen Verkaufsraum und im angeschlossenen Café Schleckermäuler zum Staunen und Schlemmen ein. Hier einzukaufen macht viel Spaß, denn man kann sich die unterschiedlichsten Geschmacksrichtungen (neben den Klassikern auch moderne Exoten mit Gin oder der Geschmacksrichtung Cheesecake) individuell zusammenstellen oder allerlei Marzipanfiguren, vom Holstentor über Robben, Krabben und Quallen bis hin zum kompletten Obstkorb erstehen – schöne Mitbringsel für die Daheimgebliebenen!




Durch Zufall sind wir im Vorfeld auf eine weitere Marzipan-Attraktion gestoßen, das Marzipan-Land. Der unattraktive Internetauftritt und der in meinen Augen schlecht gewählte, weil viel zu allgemeine Name (er hat bei mir die Assoziation einer Verkaufsshow von billiger Massenwaren für eine Horde Bustouristen ausgelöst) hätte uns fast von einem Besuch abgehalten. Doch den Mädchen zuliebe haben wir im Vorfeld Tickets für die Marzipan-Show (auch diesen Namen finde ich nicht wirklich gelungen) reserviert, da die Recherche ergab, dass auch das Marzipan-Land ein Produzent, und nicht nur ein Verkäufer ist. Im Marzipan-Speicher an der Untertrave befinden sich einer der Verkaufsräume sowie im Obergeschoss ein kleines Museum, in dem die „Show“ stattfindet.
Während der „Show“ erfahren wir viel Wissenswertes über die Geschichte und Herstellung des Marzipans sowie über die Guiness-Rekorde des hauseigenen Marzipan-Meisters Burkhard Leu, darunter ein Marzipan-Pralinen Kleid und das mit über 1.000 Kilogramm größte Marzipan-Schwein der Welt. Die Hauptattraktion für uns ist die Kreation eines eigenen Marzipan-Kunstwerks, für das jeder einen Rohling und viele Tipps erhält. Wir entwerfen ein Schwein, einen Bären mit Mäuschen, einen „Enten-Pinguin“ und ein „Wesen“, wie mein Mann sein Werk nennt, und haben viel Spaß dabei.
Anschließend wechseln wir hinüber in das Marzipan Speicher Café, wo es in historischem Ambiente leckere Kuchen, darunter natürlich auch die Marzipan-Torte, gibt (das Foto zeigt jedoch eine andere Torte). Das Außengebäude des Marzipan-Speichers bildeten übrigens die Kulisse zahlreicher Hafenszenen der Neuverfilmung der „Buddenbrooks“.



Unser Fazit: Der Besuch von Lübeck hat uns alle begeistert. Das Schlendern und Einkaufen (sehr schön ist die Hüxstraße) in den historischen Altstadtgassen, das Bewundern der eleganten Bürger- und Kaufmannshäuser, die an vielen Stellen zu spürende Weltoffenheit der alten Hansestadt und speziell für die Kinder natürlich das Marzipan-Erlebnis haben uns einen tollen Tag beschert.


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