Kann das tatsächlich sein? Seit mehreren Jahren schreibe ich diesen Blog und habe noch keine Rubrik „Frankreich“? Tatsächlich, dem ist so. Eigentlich erstaunlich, denn ich komme ja gebürtig aus Baden-Württemberg, war viele Male bei unseren Nachbarn auf Kurzbesuch oder im Urlaub und spreche auch ganz passabel die Landessprache. Aber in den letzten Jahren waren wir tatsächlich nicht hier. Nun, da wird es in der Tat höchste Zeit für einen Kurzurlaub im Nachbarland und meinen ersten Frankreich-Blog!
Zum 80. Geburtstag haben meine Schwester und ich meiner Mutter ein paar Tage im Burgund geschenkt. Nachdem wir coronabedingt diesen im Mai geplanten Kurzurlaub verschieben mussten, ist es nun endlich soweit. Aufgrund der vielbefahrenen A5 in der Rheinebene ist es vom Rhein-Main-Gebiet meist schneller (und kilometermäßig kürzer) über Metz und Nancy zu fahren. Aus Deutschland kommend ist es geradezu herrlich, auf den vergleichsweise leeren, da kostenpflichtigen, Autobahnen zu reisen. Gerne investieren wir die rund 20 Euro von der Grenze bei Saarbrücken bis zu unserem Hotel, das zwischen Dijon und Beaune liegt. Die derzeit bei Einreise erforderliche Erklärung zur Symptomfreiheit (Stand Oktober 2021) interessiert übrigens keinen Menschen, hingegen habe ich noch nie so häufig meinen Covid-Impfpass gezeigt und einscannen lassen – im Hotel, jedem Restaurant und beim Betreten diverser Sehenswürdigkeiten.
Chateau de Gilly – Erbe der Cisterciens
Als Unterkunft haben wir das Chateau de Gilly im kleinen Örtchen Gilly-lès-Cîteaux gewählt. Es gehört zu den Grandes Etapes Francaises, einer Kette mit mehreren Schlosshotels in Frankreich. Ursprünglich gab es an dieser Stelle schon im 6. Jahrhundert eine Benediktinerabtei. In unmittelbarer Nähe, im Kloster Cîteaux, begann Ende des 11. Jahrhunderts der Aufschwung der Zisterzienser (Cisterciens), ein Reform-Orden der Benediktiner. Umgeben von Zisterziensern verkauften die Benediktiner ihren Besitz in Gilly-lès-Cîteaux (man bemerke den Namen) im 12. Jahrhundert an die Zisterzienser, die aus Verteidigungsgründen im 14. Jahrhundert neben dem Kloster eine Festungsanlage errichteten. Im 16. Jahrhundert bis auf die Küche und Teile der Kellerräume des Klosters zerstört, bauten die Äbte des Klosters Cîteaux das gesamte Anwesen im 17. Jahrhundert wieder auf und das Schloss wurde, zusammen mit dem Kloster Cîteaux und dem Clos de Vougeot (von dem später noch die Rede sein wird) nach der Französischen Revolution Ende des 18. Jahrhunderts in seiner heutigen Form zum „Nationalschatz“ erklärt. Es folgte der mehrmalige Verkauf an verschiedene Eigner, bevor das Schloss zunächst in den 1970er Jahren zu einem Theater und schließlich seit 1987 zum Schlosshotel wurde.
Wir sind beeindruckt ob der abwechslungsreichen und spannenden Geschichte unseres Hotels, die uns anhand eines kleinen Flyers vermittelt wird und wandeln noch ehrfürchtiger durch die geschichtsträchtigen Räumlichkeiten. Eigentlich hatten wir das Hotel nur wegen des schönen Ambientes und seines vielgelobten Restaurants ausgewählt, aber so viel Geschichte gefällt uns natürlich gut. Auch die Zimmer passen sich stilvoll in das Gesamtkonzept ein. Wir lustwandeln noch etwas im französischen Garten (dessen Bewuchs wohl zu Coronazeiten neu angelegt wurde und entsprechend „jugendlich“ wirkt) samt Forellenteich und Bachlauf, den Pool können wir leider jahreszeitenbedingt und den Tennisplatz zeitbedingt nicht nutzen. Abends speisen wir im gotischen Gewölbe des ehemaligen Kellers der Mönche, wo einst unter anderem Fässer des benachbarten weltberühmten Clos de Vougeot lagerten (übrigens ist das Dreigangmenü mit zahlreichen Wahlmöglichkeiten, Gruß aus der Küche und Naschereien am Ende für 62 Euro mehr als fair). Anschließend muss es noch einen Digestif in der ehemaligen mittelalterlichen Küche sein, die als einer der wenigen Räume die Zerstörung im 16. Jahrhundert überstanden hat, und wir fühlen uns weniger als Mönche, denn als „Gott in Frankreich“.
Neben der Geschichtsträchtigkeit und Atmosphäre ist das Hotel aber auch wegen seiner Lage sehr zu empfehlen. Es liegt genau in der Mitte zwischen Dijon und Beaune, direkt an der Route des Grands Crus (D 974) und fußläufig zu einem der bekanntesten Weingüter des Burgunds oder sogar der Welt, des Chateau du Clos de Vougeot – das müssen wir uns natürlich näher anschauen!
Von Climats und Clos im Burgund
Zunächst ein paar allgemeine Worte zur Weinregion Burgund. Seit 2015 gehören die Climats du vignoble de Burgogne zu den Weltkulturerbestätten der UNESCO. Ein Climat im Burgund hat nichts mit dem Wetter zu tun, sondern bezeichnet ein Teilstück innerhalb einer bestimmten Weinlage bzw. eine Weinparzelle mit eigenem Namen, eigener (Anbau-)Geschichte und eigenem Geschmack des Endprodukts. Im Burgund gibt es über 1.000 Climats entlang eines schmalen Streifens zwischen Dijon im Norden über Nuits-St.-Georges und Beaune bis nach Santenay im Süden. Die Climats haben sich über Jahrhunderte ausgebildet, begünstigt durch naturräumliche Faktoren wie kleinräumig wechselnde Bodenbeschaffenheiten sowie das Mikroklima mit Hanglage/Sonneneinstrahlung/Ausrichtung. Hinzu kamen weitere Faktoren: Schon früh haben die Mönche Aufzeichnungen über einzelne Parzellen geführt und die Kellermeister beständig experimentiert, um ihr Endprodukt zu verbessern. Dazu waren die Kellermeister nämlich aufgrund einer weiteren Besonderheit des Burgunds gezwungen: Als einzige der berühmten europäischen Weinregionen liegt das Burgund nicht an einem schiffbaren Fluss oder Meer. Der Transport über Landwege war früher extrem teuer und daher musste das Endprodukt so gut und hochwertig sein, dass es die hohen Transportkosten rechtfertigte. Geblieben sind bis heute die kleinräumigen Climats mit klangvollen Namen wie Clos de Vougeot, Montrachet, Clos de Tart oder Chambertin und ein bis heute qualitativ hochwertiges, aber auch sehr teures, Weinprodukt. Und noch eine weitere Worterklärung: Ein Clos ist eine mit Mauern umgebene Weinparzelle (clos – geschlossen). Manche existieren noch aus der Zeit der Zisterzienser, andernorts sind die Mauern abgetragen und „Clos“ findet sich nur noch in der Bezeichnung des Climats oder Weinguts. Ummauerte Weinberge gibt es nicht nur im Burgund, sondern vielerorts in Frankreich und auch in Deutschland.
Angebaut werden im Burgund fast nur zwei Rebsorten: Pinot Noir und Chardonnay, die sortenrein ausgebaut werden. An der Spitze der Weinklassifizierung stehen die Grand Crus (1%), es folgen die Premier Crus (46%), der restliche Wein sind regionale Appellationen. Die Region Gevrey-Chambertin-Nuits-St.-Georges (in der wir wohnen) weist mit 24 (von insgesamt 33) Grand Crus die meisten Spitzenweine des Burgunds aus. Wir laufen von unserem Hotel aus in Richtung Vougeot und überqueren die Route des Grands Crus, die übrigens auf 60 Kilometern Länge durch die Weinregion (nördlicher Teil: Côte de Nuits und südlicher Teil: Côte de Beaune) führt und stehen nach weniger als zwei Kilometern in den weltberühmten Weinbergen des Clos de Vougeot.
Kleine Anekdote am Rande: Auf dem Weg passieren wir einen Pizza-Automaten, der uns verspricht, in drei Minuten eine leckere Holzofenpizza zu backen. Wir fragen uns, wo sich der kleine Italiener und sein Feuer verstecken und sind kurz davor, aus Forschungszwecken ein Produkt zu kaufen, lassen es aber dann doch bleiben…
Clos de Vougeot
Mitten im Anbaugebiet Côte de Nuits erstreckt sich der Clos de Vougeot. Im 12. Jahrhundert von besagter Abtei Cîteaux gegründet, die bis 1789 im Besitz des Weinbergs blieb, ist der Clos de Vougeot typisch für das Burgund. Auf einem Areal von über 50 ha umgeben ihn auch heute noch die vor über 500 Jahren errichteten Mauern. Heute wächst hier vor allem Rotwein (aber wie eines der Fotos zeigt auch Weißwein), der Rote hat seit 1937 Grand Cru-Status. Das dazugehörige Renaissance-Schloss Château du Clos de Vougeot kann besichtigt werden, uns reicht zu spätnachmittäglicher Stunde ein Spaziergang durch die wunderschönen Weinberge im Sonnenschein.
Anschließend genießen wir noch einen sehr süffigen Weißwein aus dem südlichen Burgund (Santenay 1er Cru Passetemps) auf der Terrasse des hübschen Hotels Le Clos de la Vogue am Wegesrand, schlendern durch das Dörfchen Vougeot, in dem es auch Winetasting-Möglichkeiten gibt, bevor es zum Abendessen geht.
Weinproben
Weinverkostungen sind überall im Burgund möglich, beim Weinproduzenten und bei Weinhändlern. Leider war unsere Zeit im Burgund zu kurz, um in diese Thematik tiefer einzusteigen und die verschiedenen Möglichkeiten auszuprobieren. Wer Zeit hat, kann sich hier nach Herzenslust austoben, entlang der Route des Grands Crus, insbesondere im Winzerdorf Nuits-Saint-Georges, reiht sich eine Örtlichkeit an die andere. Wir hatten bei unserer Stadtführung ein Tasting beim Weinhändler Bouchard Ainé & Fils inklusive, der versucht, sein Tasting mit dem „Parcours der fünf Sinne“ aufzupeppen, also Wein sehen (u.a. die verschiedenen Farben – nettes Plakat), hören (etwas weit hergeholt werden verschiedene Klänge gespielt), riechen (fiel bei uns wegen Corona flach), fühlen (die Textur – samtig etc. anhand von Stoffproben) und natürlich Geschmack. Wir testen fünf Weine, darunter ein 1er und ein Grand Cru. Interessanterweise schmeckt uns allen der „einfache“ Rotwein (Fixin La Mazière) am besten und überraschenderweise empfiehlt uns auch der Sommelier beim Abendessen im Schlosshotel einen Wein aus Fixin (Albert Bichot). Offensichtlich trifft dieses Örtchen etwas nördlich unserer Unterkunft unseren Geschmack und wir müssen beim nächsten Mal hier testen und einkaufen gehen.
Bouchard Ainé & Fils war ganz nett, hübscher alter Weinkeller (der allerdings nur noch für Tasting genutzt wird, teils uralte Weinflaschen, die älteste von 1911, und wir haben fünf Weine verschiedener Climats und Qualitätsstufen versucht. Viel fachkundiger und interessanter als die dortige Dame hat uns unsere Stadtführerin in Beaune, Karoline Knoth, in die Thematik der Burgundweine eingeführt. Sie hat die französischsprachige Führung teils übersetzt, an vielen Stellen aber ihr eigenes Wissen (sie ist studierte Volkskundlerin und Historikerin und u.a. Lehrbeauftragte an der „Ecole des Vins de Bourgogne“ in Beaune) weitergegeben und uns auch bereits zuvor bei ihrer Stadtführung einiges erzählt. Ihre Empfehlung lautete, die Weinhandlung Le Cellier de la Cabiote in Beaune zu besuchen, wo allerdings bei unserem Eintreffen eine geschlossene Gesellschaft weilte. Weitere Tipps für Weinproben und Kellerbesichtigungen findet ihr auf ihrer Internetseite (auch ein Keller in Fixin) – unser Programm für das nächste Mal ist gesichert! Und noch ein Tipp von ihr in Sachen Weinprobe im Burgund: Sprecht niemals von einem Barrique-Fass im Burgund. Natürlich wird auch im Burgund im Holzfass Wein ausgebaut, aber niemals im Barrique. Letzteres hat einen Inhalt von 225 Litern, wohingegen ein Fass aus dem Burgund 228 Liter beinhaltet und als Pièce (auch Fût oder Tonneau) bezeichnet wird. Hier ist schon so mancher ins Fettnäpfchen getreten!
Habe aus deinem Blog noch einiges gelernt, obwohl ich vor Ort war.
Super klasse! Sehr gut und anschaulich erklärt.
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