Unser zweiter Barcelona-Tag ist dem Modernisme gewidmet. Der „katalanische Jugendstil“ prägt wie kein anderer Barcelonas Stadtbild und die modernistischen Werke – am bekanntesten ist die Sagrada Familia von Antoni Gaudí – ziehen Millionen Besucher an.
Der Modernisme entwickelte sich Ende des 19. Jahrhunderts. Während der Rest Spaniens von Tradition, Katholizismus und Adelsherrschaft geprägt war, nahm Katalonien an der industriellen Revolution teil: Textil- und Stahlindustrie boomten, Fabrikanten und Händler kamen zu Geld. Eine wohlhabende – neureiche – katalanische Bürgerschicht entstand, die stolz auf eine eigene Kultur und Sprache sowie ihre wirtschaftliche Stärke war.
In diesem Umfeld nutzten reiche Großbürger ihr Interesse und ihre Mittel, um der so genannten „Renaixença“ Auftrieb zu verleihen. Sie fördern gezielt katalanische Künstler und vor allem Architekten, die einen eigenen Stil entwickelten. Der Modernisme ist somit Ausdruck der Aufbruchstimmung und eines neuen katalanischen Selbstbewusstseins.
Da auch die Einwohnerzahl im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung rapide anstieg, wurde Barcelona ab etwa 1860 nach den Plänen von Ildefons Cerdà mit dem neuen Viertel L’Eixample erweitert. Dieses Viertel mit schachbrettartigem Grundriss und breiten Straßen bot quasi die „Spielwiese“ für die Architekten des Modernisme und dieser Stadtteil ist voller Gebäude in diesem Stil. Der bekannteste Vertreter des Modernisme war Antoni Gaudí, der vom Industriellen Eusebi Güell entdeckt und gefördert wurde.
Park Güell: Märchengarten mit traumhafter Aussicht
Mit Güell und Gaudí starten wir auch unseren Modernisme-Tag, und zwar im Park Güell. Güell hatte Gaudí 1900 den Auftrag erteilt, eine Gartenstadt nach englischem Vorbild zu erbauen (deshalb auch die englische Schreibweise „Park“), mit Natur und Wohnen in einer gleichberechtigten Symbiose. Ursprünglich waren 60 Villen geplant, die jedoch kaum Interessenten fanden. Deshalb wurden lediglich drei Gebäude, die Wege und die umfangreiche Gartenanlage fertiggestellt.
Der Park wird als Antoni Gaudís Hommage an die Natur bezeichnet. Insgesamt herrschen in seinen Werken natürliche Formen vor, seine Bauten lehnen sich immer wieder an die Natur an und an vielen Stellen finden sich „organische Formen“ wie Tiere, Blätter oder Knochen. Im Park Güell nutzt er zusätzlich auch die vorhandene Landschaft, wie die Felsen als Mauern. Die Grünanlage des Parks ist ein originell in die Landschaft eingefügtes Gewirr aus Wegen, Laubengängen, Viadukten, Mauern und Brücken. Ein Großteil des Parks ist frei zugänglich, nur die „Monumental-Zone“ ist kostenpflichtig, jede halbe Stunde werden 400 Besucher eingelassen.
Das vorab gekaufte Ticket (siehe unten) beinhaltet einen Shuttle-Bus ab der Metro-Station Alfons X (Linie L4), was auch empfehlenswert ist, da der Fußweg hinauf zum Park an den Hängen des Bergs Pelada doch recht steil ist. Von der Bushaltestelle aus kann man zwei Wege nehmen: „nach unten“ zum Haupteingang oder „nach oben“ zum zentralen Platz. Egal wo, ihr werdet euch zusammen mit gefühlt halb Asien in Richtung Park bewegen.
Der Haupteingang wird von einer Mauer eingefasst, auf der sich kreisförmige Medaillons mit den Inschriften „Park“ und „Güell“ befinden.
Neben dem Eingangstor stehen zwei Pavillons, ehemals Verwaltungsgebäude und Wohnhaus des Pförtners, sowie das wie eine Grotte wirkende Kutschenhaus.
Gegenüber des Haupteingangs befindet sich eine der Hauptattraktionen des Parks: die Freitreppe zur Säulenhalle mit einem der Wahrzeichen des Parks und von ganz Barcelona: dem Drachen oder Salamander. Man hat seine Schwierigkeiten, diesen allein ohne Menschen zu fotografieren, ein Wärter passt extra auf, dass sich die Massen nicht um die besten Fotoplätze „schlagen“ oder gar den Drachen beschädigen.
Der Weg die Freitreppe hinauf führt in die Säulenhalle im dorischen Stil, die ursprünglich als Marktplatz gedacht war. Sie wird derzeit renoviert und ist nur eingeschränkt zugänglich, allerdings lassen sich auch zwischen den Baugerüsten die schönen Decken-Mosaiken, Sonnen und Monde, bestaunen.
Die Säulenhalle trägt die riesige ovale Aussichtsterrasse. Sie dient den Besuchern nicht nur als Aussichtspunkt mit toller Sicht über die Stadt bis ans Meer, sondern war auch Regenauffangbecken. Das Wasser wurde mittels einer ausgeklügelten Technik über „wasserspeiende Löwenköpfe“ in eine unterirdische Zisterne abgeleitet und zeitweise sogar in Flaschen abgefüllt verkauft. Weltberühmt ist die mit Bruchkeramik („Trencadís“) verzierte, in Schlangenlinien gebaute Bank (die leider derzeit ebenfalls renoviert wird). Sofern man einen Platz findet, lässt es sich hier prima sitzen und die Aussicht (oder die Menschenmassen) bewundern.
Der weitere Weg führt durch den eher naturbelassenen Teil des Parks mit seinen Viadukten und Grotten (und zahlreichen grünen Sittichen, die sich ebenfalls des Parks erfreuen). Den Kindern und uns hat der Park großen Spaß gemacht. Wir haben die Aussicht genossen, die Architektur bestaunt und an jeder Ecke lässt sich etwas entdecken, wie die Sternzeichen an der Außenmauer der „Schlangenbank“ oder die Sonnen und Monde in der Markthalle. Wir können den Besuch nur wärmstens empfehlen!
L’Eixample mit Casa Batlló, Casa Amatller und Casa Milà
Unser weiterer „Modernisme-Rundgang“ führt uns durch den Stadtteil L’Eixample und startet am Prachtboulevard Passeig de Gràcia. Hier stehen gleich zwei bekannte Bauwerke des Modernisme nebeneinander, die vor Augen führen, wie unterschiedlich Modernisme sein kann: die Casa Batlló von Gaudí und die Casa Amatller von Josep Puig i Cadafalch. Letzteres war ein Wohngebäude für den Schokoladenfabrikanten Antoni Amatller, es erinnert an ein flandrisches Giebelhaus. Die Casa Batlló wurde im Auftrag des Textilfabrikanten Josep Batlló i Casanovas erbaut und verkörpert die Legende des Heiligen Georg – Sant Jordi – des Schutzpatrons Kataloniens. Das Dach erinnert an die schuppige Haut des Drachens, dessen Maul ist die Galerie im ersten Stock. Gaudí wollte so das katalanische Nationalbewusstsein zum Ausdruck bringen.
Was gefällt euch besser? Hier scheiden sich die Geister, nicht umsonst wird diese Häuserzeile, zu der auch noch die Casa Lleó Morera ein paar Häuser weiter gehört, auch „Zankapfel“ genannt, Manzana de la Discordia.
Unweit dieser Häuser, ebenfalls am Passeig de Gràcia, steht ein weiteres von Gaudí geschaffenes Werk, die Casa Milà. Wie die Casa Batlló ist auch dieses Gebäude als UNESCO-Weltkulturerbe ausgezeichnet, beide Häuser sind jedoch erneut optisch höchst unterschiedlich. Während die Casa Batlló verspielt und farbenfroh ist, wirkt die Casa Milá „naturbelassen“ und wurde im Volksmund bald spöttisch „La Pedrera“ (Steinbruch) genannt. Kaum ein rechter Winkel findet sich hier. Für seine Zeit war das 1906 bis 1910 erbaute Gebäude höchst modern, es besaß eine Tiefgarage (für Kutschen), fast jedes Zimmer verfügt aufgrund von Innenhöfen über Tageslicht, es war bereits ein Aufzug vorgesehen und eine durchdachte Belüftung mit Lüftungskaminen über das Dach ersetzt die Klimaanlage.
Entlang der Carrer de València
Vom Passeig de Gràcia aus lässt sich ein wunderbarer Spaziergang in Richtung Sagrada Familia unternehmen, entlang der Carrer de València. Dabei passiert man zahlreiche Bauten des Modernisme, die erneut unterschiedlicher nicht sein könnten. Da wären beispielsweise die Casa Josefa Villanueva von Julio María Fossas Martínez (Carrer de València, 312), das Musikkonservatorium von Antoni de Falguera, Ecke Carrer de València und Carrer del Bruc, der Mercat Concepciò, der vor allem ein „Blumenmarkt“ ist, sowie die maurisch anmutende Casa Manuel Llopis Bofill des Architekten Antoni Maria Gallissà, Ecke Carrer de València und Carrer de Bailèn.
Sagrada Familia: Gaudís unvollendetes Meisterwerk
Höhepunkt des Modernisme und Gaudís Lebenswerk ist die Kathedrale Sagrada Familia, wie auch der Park Güell UNESCO Weltkulturerbe. Schon 1884 übernahm Gaudí die Arbeit daran, wissend, dass er das Ende nicht erleben würde. Noch heute wird an ihr gebaut, zum hundertsten Todestag Gaudís 2026 soll das Gotteshaus fertig sein.
Die Ostfassade („Geburtsfassade“), an der sich der Haupteingang befindet, gilt als Hauptwerk der Kirche und wurde von Gaudi gestaltet. An ihr lässt sich vermutlich ein ganzer Tag damit verbringen, alle Tiere, Menschen und Pflanzen zu in ihrer Symbolik zu verstehen und zu bestaunen. Dagegen wirkt auf uns die Westfassade („Passionsfassade“), die den Leidensweg Christi verdeutlicht, ein wenig emotionslos, fast schon langweilig und „grobkantig“, sie wurde in den 1980er Jahren von Josep Maria Subirach gestaltet.
Nach umfangreichen Sicherheitskontrollen gelangen wir ins Innere der Kirche und sind verzaubert. Zwei Worte fallen uns dazu ein: Licht und Leichtigkeit. Die schlanken Säulen sollen wirken wie ein Wald aus Stein und tun dies auch. Noch faszinierender ist Gaudís Spiel mit dem Licht: Durch die bunten Fenster gebrochen in seine Farben, lässt es die Säulen und Decken der Sagrada Familia erstrahlen wie einen Regenbogen. Ehrfürchtig lassen wir uns auf die Kirchenbänke nieder und staunen.
Zum Abschluss noch ein praktischer Hinweis: Wenn ihr die herausragenden Bauwerke des Modernisme auch von innen besichtigen wollt, dann kümmert euch rechtzeitig im Internet um Karten. Ich habe sechs Wochen vorher versucht, Karten für die Sagrada Familia zu bekommen – wohlgemerkt für die hessischen Herbstferien unter der Woche. Hier gab es die günstigsten „Basic-Tickets“ nur noch zu ganz wenigen Zeiten. Wer gleichwohl die teureren Kombi-Pakete hätte kaufen wollen (also mit Turmbesteigung oder Führung), der hätte noch eine größere zeitliche Auswahl gehabt. Etwas besser sieht es beim Park Güell aus, aber auch hier kauft man die – ebenfalls zeitlich festgelegten – Tickets besser so früh wie möglich. Die „Cases“ in L’Eixample haben wir nicht von innen besucht, unser Vermieter hat uns aber auch für diese eine Vorab-Reservierung im Internet empfohlen.
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